von Sannah Wagner

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Luis ist sechzehn Jahre alt und hat alles im Griff. Er lebt zusammen mit seiner jungen Mutter im fünfzehnten Stock einer Hochhaussiedlung. Sein bester Freund Milan und er haben ein paar Jungs um sich geschart, mit denen sie gemeinsam die Gegend unsicher machen, „Kurze“ abkassieren, gemeinsam saufen und Mädels klar machen. Alles läuft. Die Regeln sind klar, die Hierarchien auch. Und den Dingen, die Luis versuchen, das Leben schwer zu machen – wie Sonnenuntergänge oder die Höhe – denen begegnet er, indem er sich ihnen stellt. Immer wieder.

Doch als Milan die Regeln bricht, muss Luis erkennen, dass er die Dinge weit weniger unter Kontrolle hat, als er annimmt.

Die Autorin Verena Güntner ist hauptberuflich Schauspielerin. Und das spürt man, wenn man Es bringen  liest. Knapp und präzise sind die Schilderungen, rasant die Szenenwechsel und die Sprache ist Straßenjargon und Poesie. Die Figur des Luis ist intensiv, zart und hart zugleich. Man liebt mit ihm, man lacht mit ihm, man leidet mit ihm. Auch wenn er sich gemeinsam mit seinen Jungs alkoholisch „raufdichtet“. Auch wenn er den Dicken der Gruppe vorführt oder das dritte Mädchen an einem Tag abschleppt, um sich durch die Fickwetten das Geld für das Tattoo seiner Träume zu verdienen. Denn seine Absichten sind, so grausam das manchmal wirkt, gut – oder zumindest nicht schlecht.

Aber man liebt nicht nur mit ihm, man liebt ihn. Als alles zusammenbricht, ist jeder seiner Schritte, so sinnlos und verworren sie erscheinen mögen, nachvollziehbar. Er, der glaubte, alles im Griff zu haben und das Leben zu kennen, muss erleben, dass nicht alles bleibt wie es ist, dass sich Gefühle nicht an die Regeln halten, weder seine noch die der anderen und dass es manchmal leichter ist, nicht in den Ring zu steigen, sondern loszulassen und zu akzeptieren.

Es bringen ist ein Buch, das ich schon nach wenigen Seiten in mein Herz geschlossen habe. Die Derbheit der Sprache wirkt nie aufgesetzt. Der Rohheit wird grammatikalische Präzision und sprachliches Einfühlungsvermögen entgegengesetzt, die den Grundton nie billig oder gewollt erscheinen lässt. Luis ist trotz Herkunft und Lebensstil eine Figur voller Sensibilität und ich konnte mich ihm sehr schnell nicht mehr entziehen. Ebenso wenig seiner Mutter und seinem besten Freund Milan. Luis ist voller Liebe und Respekt für die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben. Diese Liebe wirkt an manchen Stellen ungewöhnlich intensiv.

Ich fand das ungeheuer spannend, ließ es doch einiges in diesem so konkreten Buch im Unkonkreten. Doch stellte sich mir die Frage: Ist dieses Buch ein Jugendbuch oder nicht? Sind diese Gefühle für Jugendliche nachvollziehbar oder ist das zu abstrakt. Ich habe bisher keine Antwort gefunden. Vom Verlag wird das Buch als Roman eingestuft, Lovelybooks ordnet Es bringen der Jugendliteratur zu. Und ich? Ich verspüre den großen Drang, das ausdiskutieren zu wollen. Vielleicht wagt ja jemand eine Einschätzung?

Aber jenseits dieser Frage bleibt nur zu sagen, die Autorin Verena Güntner hat mit Es bringen ein tolles Debüt geschrieben – intensiv, derb, komisch, sensibel. Gut geeignet, das „Oberstübchenmaterial“ auch längerfristig zu bereichern.

Die Autorin: Verena Güntner wurde 1978 in Ulm geboren. Sie studierte Schauspiel am Mozarteum in Salzburg. Mit einem Auszug aus Es bringen gewann sie unter anderem den Kelag-Preis im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Es bringen ist ihr erster Roman.

Das Buch: Es bringen von Verena Güntner, erschienen 2014 bei Kiepenheuer & Witsch, gebunden, 256 Seiten, Preis 18,99 Euro, ISBN 978-3-462-04692-2