Weite und Wucht
von Sannah Wagner
Nespelem, Washington State, in den 1930er-Jahren. Ein Serienkiller versetzt die Gegend in Unruhe. Seine Taten zeichnen sich durch Grausamkeit und Zurschaustellung aus. Der ehemalige Sheriff Russell Strawl, der für seine Verbissenheit und seine Grausamkeit berüchtigt ist, wird von drei Countys gemeinsam gebeten, sich des Falls anzunehmen. Selbst gerade in einer finanziellen Krise und froh, von Hof und Familie weg zu kommen, sattelt er noch einmal sein Pferd, um sich an die Fersen eines Mörders zu heften. Bei der Überprüfung der Verdächtigen hinterlässt er eine Spur der Gewalt, die seinem Ruf entspricht und viele glauben lässt, er jage im Grunde nur seinen eigenen Schatten. Als Strawl jedoch bei einem Pokerspiel seinen Pflegesohn Elijah trifft, schließt dieser sich ihm an. Gemeinsam machen sie sich daran, den immer kleiner werdenden Kreis von Verdächtigen zu überprüfen. Doch der Mörder ruht nicht.
Bruce Holbert beschreibt in Einsame Tiere neben der Kriminalhandlung vor allem eine Zeit des Umbruchs. Als Strawl sich noch einmal auf sein Pferd setzt, um einen Mörder zu jagen, ist er 63 Jahre alt und fast schon ein Anachronismus. Wandel und Zivilisation dringen selbst in seinen Lebenswinkel – einen der letzten rauen der Vereinigten Staaten – vor. Autos verdrängen Pferde, Staudämme werden gebaut, Regionen werden zu Naturparks erklärt.
Das Gesetz und der Staat nehmen immer mehr Einfluss. Die Feindbilder verlieren an Klarheit. Waren es die Indianer, die es zu Strawls Zeiten zu bekämpfen galt, leben diese nun in zugewiesenen Reservaten, kontrolliert von der BIA, dem Bureu of Indian Affairs. Sie finden ihren Platz in der neuen Ordnung jedoch genauso wenig wie die Alten, die noch in den Indianerkriegen gekämpft haben.
Die Alten, wie Strawl einer ist, sind wie Tiere, instinktgesteuert, mit ausgeprägten Sinnen und einem weiten Blick, an Einsamkeit und die unmittelbare Grausamkeit der Natur gewöhnt. Daraus resultieren ihre Härte, ihre Wortkargheit. Und doch ziehen die Grausamkeiten in ihrem Leben nicht spurlos an ihnen vorbei. Ihr Handeln leitet sich davon ab. Es geht ums Überleben, das Aushalten und die Entscheidungen, die man trifft. Strafverfolgung und Verurteilung werden weniger nach Recht und Gesetz vorgenommen, eher nach Ermessen und Notwendigkeit. Dabei zählt ein Leben nur so viel, wie es für die Gemeinschaft wert ist.
Einsame Tiere ist ein grausames Buch. Ein Buch voller Härte, Rohheit und Entmenschlichung. Und dennoch ist es auch Buch voller Gefühl, Verwundung und Schmerz. Bruce Holbert zeigt bei aller Unbarmherzigkeit eine hohe Sensibilität für seine Protagonisten, macht diese, so schwer es manchmal scheinen mag, nachvollziehbar. In Rückblenden zeichnet er Strawls Lebenslauf und den seiner Familie nach und spiegelt auf diese Weise auch die Geschichte und die Gesellschaft eines weiten, kaum bezwungenen Landes, das niemandem etwas schenkt und allen alles abverlangt.
Mich persönlich hat vor allem beeindruckt, wie Holbert durch seine präzisen Beschreibungen Bilder dieser längst vergangenen Zeit und der Weite der Natur aufgehen lässt. Natürlich lässt er dabei alle Schlüsselszenen eines Western einfließen – das Pokerspiel, die Lagerfeuerromantik, die Saloon-Szene, wortkarge Begegnungen, die sich über Stunden hinziehen. Dennoch wirkt das nie klischeehaft. Man kann sich die Typen, die Gegend, die Kargheit der Menschen und der Natur unglaublich gut vorstellen. Dabei vernachlässigt er nur selten das Tempo und lässt genug Raum für überraschende Wendungen und tiefe emotionale Eindrücke, deren Nachhall den Leser betroffen zurücklassen.
Was dieses Buch aber zu einem der besten Bücher macht, die ich dieses Jahr bisher lesen durfte, ist Bruce Holberts Stil. Er streut immer wieder sehr geschickt Passagen von philosophischen und emotionalen Erkenntnissen in die Handlung ein, die sich wie kleine Sprachbomben lesen. Beim ersten Lesen zünden sie und man hält für einen Moment inne. Was war das? Man liest sie ein zweites, vielleicht ein drittes Mal und dann gehen sie hoch in ihrer ganzen Wucht. Es sind vor allem diese Passagen, die auf mehr hoffen lassen von dem Debütanten Bruce Holbert.
Der Autor: Bruce Holbert wurde 1959 im US-Bundesstaat Washington geboren. Seine Großeltern hatten sich im Rahmen von Roosevelts New-Deal-Programm in den Dreißigerjahren dort niedergelassen. Nach der Highschool studierte Bruce Holbert Literaturwissenschaften. Er geriet in eine schwere Lebenskrise, als er versehentlich einen seiner Mitstudenten erschoss – ein Unfall, für den er sich nie vor Gericht verantworten musste. Nach dem College besuchte Bruce Holbert den renommierten Iowa Writers‘ Workshop. 2012 erschien sein hochgelobter Debütroman »Einsame Tiere«. (Quelle: Liebeskind Webside am 5.10.2014)
Das Buch: Einsame Tiere von Bruce Holbert, erschienen 2014 bei Liebeskind, gebunden, 320 Seiten, Preis 19,80 Euro, ISBN 978-3-95438-034-3
[…] – spannend bis zur letzten Seite und geschrieben in einer Sprache so weit wie das Land. Mehr hier. Liebeskind, 320 Seiten, gebunden, 19,80 […]
LikeLike