Frankfurter Buchmesse 2018
Liebe Alle,
drei Tage Frankfurter Buchmesse. The same procedure as every Year, möchte man sagen und doch, wie jedes Jahr, anders. Hingefahren sind wir gesund, voller Elan und mit einem Plan: Die Lücken füllen und tolles für Weihnachten finden. Kochbücher und Bildbände sollten der Schwerpunkt sein und Verlage, deren Kataloge wir nicht erhalten hatten. Zurückgekehrt sind wir, überraschenderweise gesund, tatsächlich noch immer voller Elan und mit dem Gefühl, die Lücken aufs Schönste schließen zu können. Einige unserer Highlights, auch das gehört neben tollen Gesprächen und einem Essen im Mai Tai in Bad Homburg zur liebgewonnenen Messeroutine, möchten wir Euch an dieser Stelle vorstellen. Sie alle stehen stellvertretend für viele weitere Titel, die dieser Tage bei uns eintrudeln. Wir haben uns dieses Mal für eine etwas ausführlichere Beschreibung entschieden, um ein wenig „Messefeeling“ mit Euch zu teilen. Wir hoffen, es gefällt.
In diesem Sinne, viel Freude beim „Blättern“
Sannah & Axel
Steve McCurry – A Life in Pictures von Bonnie McCurry
Axel: Der Knesebeck Verlag stand bei uns ganz oben auf der Liste. Verspricht die Herbstvorschau doch eine große Auswahl an Kochbüchern und Bildbänden. Wichtig war es für uns, einen Gesamteindruck der Werke zu erhalten. So also enterten wir den Stand, ergatterten eine Sitzecke und stapelten Bücherberge, um sie auf Herz und Nieren zu prüfen. Einige hielten was sie versprachen, andere aber auch nicht und wieder andere überraschten. Steve McCurry – A Life in Pictures von Bonnie McCurry war so ein Überraschungsbuch. Bonnie McCurry, die ältere Schwester des schon mehrfach ausgezeichneten Pressefotografen, hat eine beeindruckende Sammlung seiner Arbeit zusammengestellt, die schonungslos und mit einer Intensität, der man sich kaum entziehen kann, vierzig Jahre Weltgeschehen dokumentiert. Ergänzt wird diese Zusammenstellung durch von ihr geschriebene Texte, die einen tiefen Einblick in seine Arbeit und deren Konsequenzen, auch für die Familie, gewähren. Stimmen von Mitstreitern und Kollegen runden das sehr persönliche Bild vom außergewöhnlichen Schaffen des so bodenständigen Mannes ab. Das macht dieses Buch für uns, und da spreche ich auch im Namen der Dame des Hauses (die sich stellenweise verstohlen die eine oder andere Träne aus den Augen gewischt hat), zu unserem Buch der Messe 2018. Erschienen bei Knesebeck, 392 Seiten, gebunden, 75 Euro
Civilization von Ewing/Roussell
Sannah: Civilizations war für uns im Katalog ein großes Fragezeichen. Das Thema der Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert fanden wir per se interessant, aber oftmals endet die Auseinandersetzung mit dem Thema unserer Erfahrung nach in einem abgehobenen Diskurs fern der Lebenswirklichkeit. Umso größer war unsere Überraschung als der Herr des Hauses und ich, völlig unabhängig voneinander, merkten, dass wir das Buch nicht mehr aus der Hand legen wollten. Der Aufhänger des Bildbandes: etwas Grundsätzliches in unserer Kultur hat sich verändert, denn das erste Mal seit den Anfängen der Zivilisation leben weltweit mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Die Autoren Ewing und Roussell erzeugen mittels Bildern verschiedenster Fotografen und unterschiedlichsten Texten eine vielstimmige Reflexion unserer Zeit und vermitteln dabei ein vielschichtiges Bild vom Leben und Wirken unserer Spezies im 21. Jahrhundert. Großartig gestaltet ist dieses Buch tolles Futter für Auge, Herz und Hirn. Erschienen bei Knesebeck, 352 Seiten, gebunden, 55 Euro
Das Taschenmesser von Matt Collins
Axel: Seitdem ich dieses Buch entdeckt habe, wünsche ich mir ein Taschenmesser. Es ist doch erstaunlich, wie vielseitig dieses einfache Werkzeug ist. Man kann damit unter anderem eine Anzündehilfe fürs Lagerfeuer schnitzen, einen Knopf herstellen oder auch einen Apfelbaum veredeln. Und das sind nur drei von fünfzig präzise erklärten und mit hilfreichen Illustrationen versehenen Tipps, gut verständlich dargestellt für Groß und Klein. Damit einem das universelle Hilfsmittel auch lange erhalten bleibt, wird der Leser vorab noch mit praktischen Hinweisen zur Wahl des richtige Messers und der Pflege der Klinge unterstützt. Dieses tolle Buch könnte dem typischen Utensil einer Kindheit der Vor-Smartphone-Ära zu neuem Glanz verhelfen. Erschienen bei Knesebeck, 144 Seiten, gebunden, 12 Euro
Familien von Gabriella Herpel (Hrsg.)
Sannah: Ich starte jetzt mal ganz voreingenommen: Ich persönlich halte die Süddeutsche Zeitung für die beste Tageszeitung unseres Landes. Sie recherchiert tief, legt viel Wert auf stilistische Qualität, hält sich an die journalistischen Kernkompetenzen und wandelt zumeist sicher auf dem schmalen Grat zwischen emotionaler Wahrnehmung und sachlicher Darstellung. Entsprechend machen mich die „Nebenprodukte“ der Süddeutschen Edition immer wieder neugierig. Bei einer Recherche stieß ich neben der tollen School-of-Life-Reihe von Alain de Button auf das Buch Familien, herausgegeben von Gabriella Herpel. Sie versammelt darin 30 sehr unterschiedliche Geschichten aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung rund um Freud und Leid des Familienlebens. Ob das Porträt von sechs Jungen, die kaum das Haus verlassen durften und aus der Not eine kreative Tugend machten oder die Frage der gleichgeschlechtlichen Elternschaft aus der Erfahrung der Kinder heraus erzählt, in diesem Buch sind Reportagen, Interviews, Essays und Glossen in bester journalistischer und gestalterischer Qualität versammelt. Spannend, berührend, ungewöhnlich. Zwar nicht auf der Messe entdeckt, aber nach dem Anlesen auf der Messe für „sehr gut“ befunden. Erschienen bei Süddeutsche Zeitung Edition, 224 Seiten, gebunden, 24,90 Euro
Der NSU-Prozess Das Protokoll von Ramelsberger/Schulz/Stadler/Ramm
Sannah: Die NSU-Protokolle sind so etwas wie der Geist der letzten Vorschauen. Immer wieder angekündigt, doch nie erschienen. Wie auch, verzögerte sich das Ende des Prozesses immer wieder aufs Neue. Doch dieses Jahr wurden die Urteile verkündet und der Geist darf sich endlich materialisieren. Mit Tanjev Schulz und Annette Ramelsberger stellten sich zwei der vier Autoren einem Interview im wunderschönen, luftigen Frankfurt Pavillon (Foto siehe oben). Und ihre Schilderungen von den wie aus der Zeit gefallenen Prozesstagen in einem schlecht belüfteten, fensterlosen und bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal, ließen niemanden im Publikum kalt. Mit der Stimme kämpfend erzählte Ramelsberger von Zeugen und Angehörigen, die beschrieben, wie sie ihre Liebsten nach den Anschlägen vorfanden, vom psychologischen Kleinkrieg zwischen Zschäpe und ihren Pflichtverteidigern, und wie sie all das und vieles mehr protokollierten – Prozesstag für Prozesstag, denn das Gericht tat es tatsächlich nicht (und ist auch nicht dazu verpflichtet). Wir waren gefesselt, wurde doch trockene Rechtssprechung plötzlich lebendig. Die zeitgeschichtliche Bedeutung dieses Dokuments kann man schon jetzt kaum überbewerten, ahnt man doch, dass dieses Ende nur der Anfang ist… Erschienen bei Kunstmann, 2000 Seiten, gebunden, 5 Bücher im Schuber, 80 Euro
Salz Fett Säure Hitze von Samin Nosrat
Sannah: Dieses Buch stand auf der Liste der zu sichtenden Titel. Denn wir waren alle nicht sicher, was wir uns darunter vorstellen sollten. Kochbuch? Kochschule? Anspruchsvoll oder eher für den totalen Anfänger? Wer konnte besser dafür geeignet sein, das herauszufinden, als ich? Denn tatsächlich liebe ich Kochbücher und gutes Essen, bin aber gelinde gesagt, relativ ahnungslos am Herd. Doch das ändert sich gerade – warum auch immer – und wie ich erfreut bei der Sichtung des Buches feststellen durfte, Kochen ist keine Raketenwissenschaft. Auf den Punkt unkompliziert erklärt und charmant illustriert, vermittelt Nosrat die Grundregeln des Kochens, die im Grunde aus einer Balance der vier Elemente Salz, Säure, Hitze und Fett bestehen. Beherzigt man diese und hat das richtige (nicht automatisch hochwertige) Zubehör, kann man zubereiten, wonach einem auch immer der Sinn steht. Für den interessierten Laien aber auch Hobbyköche, die bisher mit Begeisterung, aber ohne Grundwissen gearbeitet haben, ist dieses Buch eine tolle Ausgangsposition, um Selbstsicherheit, Instinkt und Kreativität (weiter) zu entwickeln. Die tollsten Rezepte, 100 finden sich allein in diesem Buch, werden bei Beherzigung des Gelesenen nicht unabänderliche Formeln sein, sondern vielmehr Inspiration für die eigene Kreation. Erschienen bei Kunstmann, 472 Seiten, gebunden, 36 Euro
The Grand Hostels von BudgetTraveller
Sannah: Meine Vorstellung des Hostel-Konzepts war bis zu meinem letzten Kurzurlaub (Vier Tage Hamburg in der Superbude St.Georg) vor allem: Mehrbettzimmer, billig, anspruchslos, gut geeignet für Backpacker und Jugendliche. Doch ich wurde eines Besseren belehrt! Die Superbude, die übrigens im Buch vorgestellt wird, liegt im mittelpreisigen Segment und das Konzept ist vor allem extrem unkompliziert und gastfreundlich. Es gibt natürlich Einzel- und Doppelzimmer. Die Einrichtung ist einfach, modern, individuell. Vieles wird auf Vertrauensbasis gelöst, ob Gemeinschaftsküche, Fernsehraum oder Waschmaschine. Interessanterweise war die Gästestruktur in puncto Alter und Hintergrund bunt gemischt. Im Ergebnis für uns eine tolle Erfahrung. Umso größer war meine Freude, bei Gestalten den Hostelführer The Grand Hostels auf Deutsch zu entdecken. Der Blogger Kashyap Bhattacharya (sein Blog heißt BudgetTraveller) versammelt in diesem Buch die besten Hostels der Welt. Toll bebildert, knapp beschrieben und mit den notwendigen Infos abgerundet, ist dieses Buch eine großartige Inspiration, wenn es um die Zielfindung geht. Warum nicht mal erst die Übernachtung planen und dann schauen, was das Reiseziel so hergibt? Erschienen bei Gestalten, 320 Seiten, Softcover, 29,90 Euro
Frei – Selbstständig arbeiten als Designer von Nicholas Uphaus
Axel: Einige Tage bevor wir unsere Pferde gen Frankfurt sattelten, trudelte die neue Herbstvorschau vom Hermann Schmidt Verlag ein. Wir blätterten, sahen und staunten. Wieder einmal wurden uns von dem auf Grafik, Design und Illustration spezialisierten Verlag, eine kleine aber feine Auswahl ihrer neusten Bücher vorgestellt. Eines davon war das Buch Frei – selbstständig arbeiten als Gestalter. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir auf der Messe dieses Buch schon einmal vorab in Augenschein nehmen konnten. Denn dieser clevere persönliche Coach in Buchform unterstützt nicht nur Gestalter auf ihrem Weg zur Selbstständigkeit. Gut strukturiert mit Reitern, Checklisten und Infografiken, vermittelt es praxisnah, worauf er bei einer Gründung ankommt. Unter anderem hilft es bei der Berechnung der Finanzierung, bei Honorarbegründungen oder bei der Strukturierung der Buchhaltung. Zusätzlich zu den praktischen Tipps und Hilfen sind in diesem Buch auch Stimmen von erfolgreichen Unternehmern versammelt, durch deren Blickwinkel manch trockener Vorgang greifbar wird. Besonders beeindruckt hat uns die umfassende Herangehensweise dieses perfekt strukturierten Buches, das, abgesehen von einigen spezifischen Passagen für Kreative, wirklich jeden Gründungswilligen auf dem Weg zur Selbstständigkeit unterstützt. Ach, hätte es dieses Buch doch schon vor vier Jahren gegeben. Erscheint im Herrmann Schmidt Verlag, 336 Seiten, gebunden, 40 Euro
David Bowie – Ein Leben von Dylan Jones
Sannah: Um es vorweg zu sagen, ich finde David Bowie als Mensch und Kunstfigur bis heute hochinteressant, bin aber nie Fan im eigentlichen Sinn gewesen. Dennoch, als ich über den Stand vom Rowohlt Verlag schlenderte, fiel mir dieses Buch sofort ins Auge. Der Mann auf dem Cover wirkt ungewohnt greifbar, stark und verletzlich zugleich, eingebunden in Vergangenheit und Gegenwart. Ihm haftet eher etwas Halbstarkes als etwas Glamouröses an. Dabei war Bowie vor allem für seine stilistische Wandlungsfähigkeit, die künstlerische Selbstinszenierung bekannt und wirkte dadurch wie aus der Zeit gefallen. Nichts davon findet man in diesem Bild. Es ist nur David Bowie, der Mensch. Und genau so funktioniert dieses Buch. Dylan Jones hat über 180 Menschen aus Bowies Umfeld interviewt, die in unterschiedlichsten Verhältnissen zu ihm standen. Ob Mitstreiter, Kollegen, Lebenspartner, Verwandte, etc., all ihre Aussagen hat Jones gesammelt und in einer chronologischen Struktur zusammengefasst, sodass ein vielstimmiger Chor mit sich durchaus widersprechenden Wahrnehmungen ein ebenso schillerndes wie privates Porträt eines der ungewöhnlichsten, kreativen Autodidakten unserer Zeit zeichnet. Eine ungewöhnliche Annäherung an ein ungewöhnliches Leben. Faszinierend! Erscheint bei Rowohlt, 816 Seiten, gebunden, 38 Euro
Andy – A factual fairytale von Typex
Axel: Andy Warhol gehört wohl zu den berühmtesten Künstlern der Moderne. Als Mitbegründer der Pop-Art-Bewegung hielt er der Gesellschaft einen Spiegel vor, indem er Alltagsgegenstände zu Kunst werden ließ. Auf 568 Seiten wird in dieser Graphic Novel die Geschichte des Andrew Warhola, Kind slowakischer Einwanderer, auf seinem Weg zur Künstler-Ikone Andy Warhol nachgezeichnet. Dabei wird deutlich, wie wichtig ihm Freundschaften waren und was ihm seine Factory bedeutet hat. Der Leser zieht mit ihm durch die angesagtesten Clubs New Yorks und trifft auf Stars wie Marilyn Monroe, Jackson Pollock oder Bob Dylan. Besonders beeindruckt hat mich Typex Herangehensweise. Er passt seinen Comicstil dem jeweiligen Jahrzehnt in Warhols Leben an und spiegelt dadurch den stilistischen Einfluss auf dessen Werk. Auch der ironische Preishinweis auf dem Cover, der hochwertige dicke Pappeinband und der silberne Farbschnitt spielen mit Warhols Philosophie und machen aus dem Massenprodukt Buch ein Kunstwerk. Für mich das schönste Buch der Messe. Erscheint bei Carlsen, 568 Seiten, gebunden, 48 Euro
Naturgeschichte der Gespenster von Roger Clarke
Sannah: Bei uns in der Beziehung ist ja der Mann des Hauses für das Fantastische zuständig, doch ausgerechnet ich stolpere über diese „Entdeckung“, die zeigt, warum die Messe sich auch hervorragend eignet, Titel jenseits der Novitäten wahrzunehmen. Die Naturgeschichte der Gespenster ist schon 2015 in der von uns so geliebten Naturkunden-Reihe des Matthes & Seitz Verlags erschienen. Es ist ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Titel, der besonders jetzt, in den immer kürzer werdenden Tagen und den nebligen Nächten, seine ganze Wirkung entfaltet. Der Autor Roger Clarke ist seit frühester Jugend an besessen – von Gespenstern, Geistern, Wiedergängern und ihren Geschichten. In diesem äußerst unterhaltsamen Buch führt er uns durch die Welt des Spuks, schläft in Spukhäusern, nimmt an Séancen teil und prüft berühmte Legenden auf Herz und Nieren. So entsteht ein lebendiges, kurzweiliges und dennoch umfassendes Bild der Geistergeschichte(n). Fasziniert hat mich aber auch die Gestaltung, die schemenhaft durchscheinenden Bilder und vor allem die im Text ergänzten, typografisch abgesetzten Bemerkungen, die beim Lesen wie eine Stimme aus dem Off wirken. Wer da keine Gänsehaut bekommt, der hat kein Grusel in sich – wie unser Lieblingskinderbuchheld Monsta sagen würde. Erschienen bei Matthes & Seitz, 333 Seiten, gebunden, 38 Euro
Der Wilde von Guillermo Arriaga
Sannah: Es war 18 Uhr als ich endlich den Klett-Cotta-Stand betrat. Der zweite Messetag wog schwer in Kopf und Beinen, doch wir hatten die Herbstvorschau des Verlags leider nicht erhalten. Ich wollte die verbleibende halbe Stunde nutzen und anlesen so viel ich konnte. Während ich mit einem Stapel Bücher auf einem Sofa Platz nahm, klirrten um mich herum schon die Sektgläser – kein Zweifel, der Feierabend wurde eingeläutet. Und dann schlug ich ausgerechnet Der Wilde von Guillermo Arriaga auf. Zugegeben, ich hatte von dem Autoren noch nichts gehört, doch der Klappentext verspricht (ganz bescheiden) „Arriaga schreibt die epische Geschichte von Schuld und Rache neu“. Dass er darüber hinaus die Drehbücher für die großartigen Innaritu-Filme Amores Perros, 21 Gramm und Babel geschrieben hat, weckte meine Neugier und ich begann zu lesen. Es dauerte keine zwei Seiten, da schnappte ich überwältigt nach Luft. Arriaga schien mir seine Sätze von brutaler Schönheit in mein (ohnehin überreiztes) Hirn zu hämmern. Und während um mich herum müde Witze gemacht wurden, Glückwünsche für was auch immer ausgetauscht wurden, hatte ich endlich auch auf dieser Messe das Gefühl, nach dem ich mich jedes Jahr sehne – nämlich, das Buch in der Hand zu haben. Erschienen bei Klett-Cotta, 746 Seiten, gebunden, 26 Euro
Wie man die Zeit anhält von Matt Haig
Sannah: Bei dtv war die Ausgangssituation ähnlich wie bei Klett. Wir hatten keinen Katalog erhalten, also lautete die Mission, möglichst viel, möglichst schnell. Die Bücher stapelten sich auf dem Tisch, neben mir ein reges Vertretergespräch. Und dann nahm ich Matt Haigs neuestes Werk Wie man die Zeit anhält in die Hand und die Zeit hielt tatsächlich an. Wer mich kennt, weiß, dass ich es nicht so mit unkomplizierter Feel-Good-Literatur habe. Bei mir darf es weh tun. Doch Haigs Buch hatte mich. Ich mochte sofort die Idee: der Protagonist altert im Verhältnis zum normalen Menschen 1:10 und muss deshalb alle acht Jahre die Identität wechseln. Er ist 40 Jahre alt, hat so ungefähr 400 Jahre Geschichte gelebt, und ist vor allem eines – einsam. Doch schon im 19. Jahrhundert warnte ihn ein Schicksalsgenosse: Du darfst Dich nicht verlieben! Und er befolgt den Rat aufs Bitterste, bis… Na klar, dafür ist es ja dann auch ein Schmöker. Aber mir scheint, ein perfekter Schmöker, der tatsächlich die Zeit für einen Moment anhält und dem Leser das Lied Feeling good auf die Lippen zaubert. Erschienen bei dtv, 379 Seiten, gebunden, 20 Euro
Ich sollte, Ich wünschte und Ich denke von Toon Tellegen
Sannah: In unserem Buchhändleralltag gibt es Bücher, die immer wieder unseren Weg kreuzen, ob bei der Sichtung der Vorschauen, bei Recherchen oder weil jemand davon erzählt. Immer wieder diskutieren wir sie – und kaufen sie am Ende nicht ein. Das hat unterschiedliche Gründe. Im Falle der Bücher von Toon Tellegen aus dem mixtvision Verlag ließen uns ganz konkret die Illustrationen von Ingrid Godon zögern, die so faszinierend wie herausfordernd sind. Zu artifiziell, glaubten wir und trauten uns nicht. Und wurden auf dieser Messe eines Besseren belehrt, denn diese Reihe ist von (Achtung Superlativ!) erschütternder Intensität. Die Texte von Toon Tellegen scheinen von weit her zu kommen und dennoch Echo der eigenen Gedanken zu sein. Es sind lyrische Miniaturen, Erinnerungen und Alltagsschilderungen, so persönlich wie allgemein gültig, die den Leser in ihrer philosophischen Tiefe berühren. Dabei ist jedes Wort an seinem Platz, keines scheint zu viel und all das korrespondiert auf ganz ungewöhnliche Weise mit den Illustrationen von Ingrid Godon. Diese Bücher, für mich insbesondere das neu erschienene „Ich sollte“, sind außergewöhnlich, erlauben sie dem Leser doch, sich selbst zu begegnen. Erschienen bei mixtvision, 90/96 Seiten, gebunden, je 29,90 Euro
Axel: Auf der Buchmesse fällt es manchmal schwer, zügig durch die Gänge der Hallen zu kommen. Es gibt einfach zu viele Verlage mit zu vielen schönen Büchern. Als wir am Donnerstag auf dem Weg zu einem Termin noch eine Stunde Zeit zur Verfügung hatten, beschlossen wir, uns ein wenig treiben zu lassen. Doch dann landeten wir beim 360 Grad Verlag und wie zwei Groupies einer Rockband standen wir vor dessen so liebevoll durchdachten Kinderbüchern. Es wurde geooooht und gehaaaacht, geschmunzelt und geschwärmt. Entsprechend schwer fiel die Auswahl, doch besonders gefallen hat mir das Buch Welle. Darin spielt ein Mädchen am Strand mit der Brandung . Es weicht zurück, sprintet vor, duckt sich, nur um gleich wieder zurückzuweichen… Dabei wird komplett auf Sprache verzichtet, sodass die berührenden und humorvollen aus Kohle und Wasserfarben gearbeiteten Bilder in all ihrer Kraft wirken dürfen. Der Verlag und Suzy Lee schenken dem Betrachter mit diesem Buch einen wunderbaren Moment der Erinnerung. Erschienen bei 360 Grad Verlag, 40 Seiten, gebunden, 14 Euro
In der Savanne und In den Bergen von Libby Walden
Axel: Auch die Pop-Up Bücher In der Savanne und In den Bergen
haben mein Herz zum Hüpfen gebracht. Tierbücher für Kinder gibt es ja bekanntlich viele, aber in diesen Büchern kommen einem die Tiere im wahrsten Sinne des Wortes entgegen. Die kunstvollen, aber nicht zu filigranen Pop-Ups lassen dieses Buch lebendig werden. Sei es der Löwe, der einem die Tatze entgegenstreckt, die Giraffe, die ihren Hals über das Buch reckt, kleine Bären, die aus den Seiten kullern oder auch der Adler, der seine Flügel ausbreitet. Die lebendigen Pop-Ups, begleitet von einer gereimten Geschichte und kleinen Sachinformationen, machen diese Bücher zu ganz besonderen Schätzen im Kinderzimmer. Erschienen im 360 Grad Verlag, je 12 Seiten, gebunden, je 14 Euro