A Shotgun Lovesong
von Sannah Wagner
Um es vorweg zu sagen: Ich liebe Musik. Und ich liebe Bücher. Aber ich fürchte mich immer ein bisschen vor Büchern über Musik. Warum das so ist?
Lange habe ich es nicht verstanden – genaugenommen, bis zum Lesen dieses Buches. Tatsächlich sind das Lesen eines Buches und das Hören von Musik sinnliche Erfahrungen, so unterschiedlich wie Tag und Nacht, doch bedienen sie beide die gleichen inneren Schnittstellen: Gefühle und Phantasie. Wenn nun ein Autor über den „stummen“ Weg des Schreibens versucht Musik erlebbar zu machen, kann er nur versuchen, mit Bildern Stimmungen und mit Stimmungen Bilder zu erzeugen, die etwas in dem Leser zu „klingen“ bringen.
Nickolas Butler ist das mit Shotgun Lovesongs gelungen. Er schaffte es, mich die Bilder hören zu lassen.
Am Ende kann ich es noch damit vergleichen, wie sich Schallwellen im Winter ausbreiten. Dann, wenn alles kalt und still ist. Wenn man erstmal gar nichts hört….Und dann, wenn die eigenen Ohren sich daran gewöhnt haben, wenn man eine Weile gewartet hat, beginnt man die Krähen in den Baumwipfeln zu hören, das fast nicht mehr wahrnehmbare Geräusch ihres Flügelschlags….Und schließlich kommen weitere Geräusche hinzu: das weit entfernte Knarren einer Motorsäge,….,das Wasser eines Baches,…, Vogelgesang. Man braucht nur all diese winzigen Geräusche miteinander zu verschmelzen und dann Lees unendlich traurige Falsettstimme darüber zu legen, und schon hat man eine Hymne, die jenen Flecken Erde besingt, von dem wir stammen.
Shotgun Lovesongs ist aber auch ein Buch über Heimat, über Freundschaft, über Liebe. Es erzählt die Geschichte von Entscheidungen, von Weggang und Rückkehr, von Familie und Arbeit aus der wechselnden Sicht der Freunde Kip, Henry, Lee, Ronny und Beth vor der weiten Landschaft Wisconsins.
Diese Männer, die sich schon ihr ganzes Leben kennen. Diese Männer, die alle in demselben Krankenhaus geboren, vom selben Geburtshelfer entbunden wurden. Diese Männer, die zusammen aufgewachsen waren, die dasselbe Essen gegessen, in denselben Chören gesungen hatten, mit denselben Mädchen ausgegangen waren, dieselbe Luft geatmet hatten.
Kip, der Rückkehrer, der in Chicago das große Geld gemacht hat und nun in der Heimat eine alte Mühle wiederbelebt. Henry, der Farmer in x-ter Generation, der nie groß woanders war und der liebt, was er tut, auch wenn es auf Grund der Zeiten nicht leichter wird. Beth, Henrys Frau, seine Jugendliebe, Mutter seiner zwei Kinder, die alles zusammen hält. Ronny, der einsame Cowboy, der durch einen Rodeounfall keine Perspektive mehr zu haben scheint und Leighland – Lee -, der Musiker, der die Welt bereist und doch immer wieder zurückkehrt.
Aus diesem vielstimmigen Choral entsteht das dichte Bild einer Gruppe von Menschen, die gemeinsam aufwuchs und nun aneinander wächst, nicht immer reibungslos, doch immer miteinander verbunden durch gegenseitigen Respekt und die Herkunft.
Ich glaube, man kann wohl sagen, wir beide hatten das Gefühl – ohne dass es einer von uns laut ausgesprochen hätte -, dass nun, nach mehr als dreißig Jahren, unsere Kindheit endgültig zu Ende gegangen war. Dass die verlässlichen, unkomplizierten Freundschaften, die unsere Jugendjahre geprägt hatten, nun auseinander brachen…..Früher hatte es eine Zeit gegeben, da war ich nicht nur sein Freund, sondern auch sein Fan. Jetzt kam mir das alles so weit weg vor, so kindisch, es war mir unendlich peinlich, daran zu denken, wie sehr ich Lee vergöttert hatte.
Nickolas Butler, geboren 1979 in Pennsylvania, ist in Eau Clair – Wisconsin aufgewachsen. Er schrieb mit Shotgun Lovesongs eine berührende Liebeserklärung an seine Heimat. In jedem seiner Worte spiegelt sich die Verbundenheit zu den Menschen, der Landschaft, der Lebensweise wider, zeigt sich die Liebe und der Respekt für den Landstrich, in dem er aufwuchs. Dabei ist seine Sprache, besonders in den landschaftlichen Beschreibungen oder der Schilderung New Yorks, sensibel und poetisch, ohne verklärend zu sein.
Manchmal ist der Ton melancholisch, aber nie sentimental. Er zeigt die Veränderungen auf, welche nicht immer gut, jedoch auch nicht zwingend schlecht, die vor allem aber notwendig sind. Veränderungen, die dieses Land braucht, das mit seiner landwirtschaftlichen Prägung droht, von den Märkten der Welt bestimmt und abgehängt zu werden.
Ich bin sicher, dass manch einer das Buch als klischeehaft abgetan hat. Zu klar sind die einzelnen Rollen. Auch ich bin immer wieder auf Distanz gegangen, um dieses Argument für mich zu überprüfen, doch die Sprache und die Gefühle, die das Lesen freisetzte, mein unvermitteltes Lachen (und ja, auch weinen), haben mich diese Frage irgendwann vergessen lassen. Shotgun Lovesongs ist ein Buch der großen und kleinen Emotionen, es ist aber auch ein klarer Blick auf den Lauf der Dinge, der nicht aufzuhalten ist. Letztendlich entscheiden wir nur, welche Entwicklung unser Leben durch diese Veränderungen nimmt.
Etwas möchte ich noch anfügen:
Von der ersten Seite an versuchte ich, einen passenden Sänger für die Figur des Lee zu finden. Ich hörte während des Lesens vor allem die Musik von Jesse Marchant, einem kanadischen Singer-Songwriter, bekannt als JBM. Im Text fand ich genau die Bilder, die ich schon immer im Innern gesehen hatte, wenn ich seine Musik hörte. Inzwischen weiß ich, dass Justin Vernon – Bon Iver – als Vorbild diente. Er stammt tatsächlich aus Wisconsin und ist seiner Heimat bis heute tief verbunden. Auch er ist ein Singer-Songwriter und Jesse Marchants Musik wird oft mit seiner verglichen. Als ich das herausfand, war das für mich nur der Beweis für die Präzision des Autors, mit der er sich der Musik seiner Figur genähert hatte.
Meine persönliche Playlist, die ich während des Lesens hörte:
Danke für diese schöne Besprechung, die mich ganz neugierig auf das Buch macht. Die Idee zur Besprechung eine Art Playlist zu veröffentlichen, finde ich klasse. Ich werde während der Lektüre des Romans, den ich nun unbedingt haben muss, auf jeden Fall immer mal wieder reinhören! 🙂
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Danke für das Kompliment. Schreib mal, wie es dir gefallen hat. Das Hören und das Lesen. Du weißt ja jetzt, wo du mich findest…;)
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