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von Sannah Wagner

Am Samstag, den 06.09 war es soweit. Marcus Wiebuschs Kurzfilm Der Tag wird kommen – manche sagen Musikvideo mit Spielhandlung – feierte Premiere. Warum ist das eine Nachricht wert? Ein Musiker dreht ein Video zu einem seiner Songs – man möchte sagen „Business as usual“.

Doch hinter Der Tag wird kommen steckt mehr:
Seit letztem Jahr wandelt Marcus Wiebusch auf Solopfaden. Seine Hamburger Band Kettcar wollte eine Pause, Marcus Wiebusch nicht – zumindest nicht von der Musik per se. Also veröffentlichte er im Herbst letzten Jahres mit der – nur im mp3-Format erhältlichen – EP Hinfort, feindliche Macht! einen ersten Vorgeschmack darauf, wohin die Reise ohne feste Band gehen würde. Steht Kettcar vor allem für Indiemucke, die mit intelligenten, poetischen Texten das Lebensgefühl ihrer Generation reflektiert, macht Wiebusch solo von Anfang an klar, dass er etwas zu sagen hat – dass er Stellung beziehen will. Das ist sowohl der Musik anzuhören als auch den Texten. Der Sound ist satter, rockiger, dunkler, es gibt Ausflüge in den Sprechgesang. Und die Texte, ja die Texte, die haben es in sich. Die sind in Songs wie Nur einmal rächen oder Das Böse besiegen gradlinig, in den Aussagen klar, Hymnen für den Rand der Massen, aber auch gegen Selbstmitleid, gegen Drama und für den realistischen Blick auf die Entwicklung und den eigenen Platz im Gesamtbild.

Im April diesen Jahres veröffentlicht er mit Konfetti das Album und schickt mit Der Tag wird kommen eine Single ins Fußball-WM-Jahr, die den Nerv trifft. Und plötzlich ist überall von Marcus Wiebusch und seiner neuen Platte zu lesen, zu hören, zu sehen. Natürlich ist das gewollt – sonst schreibt man ja nicht so einen Song -, doch fragt man sich, hat er das kommen sehen? Und ahnt, als er nach einem Interview in der Tagesschau halb ironisch, halb verwundert auf Facebook postet „Und was kommt jetzt? Spiegel-Cover?“, nein, das hatte er nicht geahnt. Doch statt es dabei zu belassen, die Botschaft dem Orkus des kollektiven Kurzzeitgedächtnisses preiszugeben, nutzt er den Moment und geht noch einen Schritt weiter. Zusammen mit Dennis Dierksen und Björn Lingner erarbeitet er ein Konzept für einen Kurzfilm, rechnet aus, was der „Spaß“ kosten soll und gibt den Fans im Juni die Möglichkeit via Crowdfunding zu partizipieren – die Botschaft zu unterstützen, finanziell, aber eben auch durch das Verbreiten und sich Bekennen auf den entsprechenden Social-Media-Plattformen. Und die Welle rollt los. Das Crowdfunding ist angelegt auf 45 Tage, 30.000 Euro braucht es, um das Projekt zu realisieren. Das Ziel ist binnen fünf Tagen erreicht und ein Ende ist nicht in Sicht. Als der Aufruf vorzeitig geschlossen wird, sind 50.000 Euro zusammengekommen. 1048 Spender unterstützen Künstler und Botschaft.

Und der Tag kam. Am ersten Samstag im September feiert der Kurzfilm Weltpremiere. 250 Menschen hatten sich via Crowdfunding die Möglichkeit erspendet, teilzunehmen und mitzufeiern. Und so traf man sich im Hamburger Club Knust. Man schritt über den roten Teppich, sah und – ganz dem Anlass entsprechend – ließ sich sehen. Zum Anwärmen lauschte man Oliver Burghard von Pink Lint. Und dann, endlich, kam man zusammen, um zu sehen, was man zu sehen gekommen war. Marcus Wiebusch war die Aufregung deutlich anzumerken, als er auf die Bühne trat und den Film ankündigte. Man spürte, da hat jemand sein Herz in die Waagschale gelegt. Es wurde dunkel, der Film wurde angezählt und dann waren sie zu hören, die ersten Töne von Der Tag wird kommen und die ersten Bilder flimmerten über die Leinwand. Mit Abspann neun Minuten, neun Minuten, in denen man jenseits der Musik hätte eine Stecknadel fallen hören können. Neun Minuten, über die sich am Ende alle, so unterschiedlich sie sonst vielleicht sein mochten, einig zeigten – durch nicht enden wollenden Applaus. Berührt von Bildern, die den Text verdichten, die zeigen, wie es ist – kein Utopia – nur Realität. Eine Realität mit viel (Spiel)Raum für das Schweigen, das gute wie das schlechte.

Als Marcus Wiebusch erneut die Bühne betritt, ringt er sichtlich um Fassung. Und so bricht er sein Vorhaben, Interviews mit den Schauspielern zu führen, schnell wieder ab – zu emotional ist der Moment. Schön ist das zu anzusehen. Da hat jemand etwas zu sagen, exponiert sich, um diesem Gedanken eine Stimme zu geben, ihn zu verbreiten. Er akzeptiert, dass nicht jeder seiner Meinung ist und feiert mit denen, die seine Hoffnung teilen.

Nur einen Vorwurf will er nicht gelten lassen und dies erklärt er klar zu Beginn des anschließenden Konzerts: Der Song polarisiere. Das wisse er. Es habe aber nichts mit Gutmenschentum zu tun, wenn man wolle, dass Menschen nicht auf Grund ihrer Sexualität beurteilt werden. Das gebiete einfach der gesunde Menschenverstand.

Wie wahr!
Es ist eben „keine glückliche Fügung, sondern Fortschritt, Veränderung…“
Wir sind auf dem Weg!

Fotos Andreas Hornoff, Sannah Wagner