Das Liebesleben des Nathaniel P.
Text von Sannah Wagner
Nathaniel Piven ist 30 Jahre alt und verdient als Autor inzwischen gut genug, um zu behaupten, dass er vom Schreiben leben kann. Sein erster Roman steht kurz vor der Veröffentlichung, er lebt in einem semigentrifizierten Teil Brooklyns, blickt auf zwei ernst zu nehmende Beziehungen und einige Liebschaften zurück und ist im Großen und Ganzen zufrieden mit sich und seiner Welt. Das er gerade keine Beziehung hat, passt gut. Und er wird nicht müde, dass klar zu stellen. Doch als Hannah seinen Weg kreuzt, scheint das schnell vergessen und so darf der Leser teilhaben am Sehnen und Scheitern des Nathaniel P.
Seit ich das erste mal von dem Buch hörte, es war wohl im Mai beim Vorschauen sichten, war für mich klar, das Buch muss ich lesen. Die Reaktionen darauf hatten mich neugierig gemacht – die der Frauen ebenso wie die der Männer. Ist Adelle Waldman wirklich eine Männerversteherin? Fühlen sich die Männer erkannt, wenn sie dieses Buch lesen? Und was ist mit den Frauen? Gewinnen sie tiefere Erkenntnisse in Bezug auf die männliche Seele? Wie kommen sie dabei weg?
Um es vorweg zu nehmen, so richtig gut kommt keiner dabei weg. Die ersten etwas holprigen 20 Seiten darf man erleben, wie der „Held“ sich in einem Smalltalk mit einer Ex verfängt. Eine Situation, die ob ihrer Peinlichkeit schwer zu ertragen ist. Vor allem, wenn man parallel in einer Rückblende von den Hintergründen dieser Verbindung erfährt. Da blitzt schon, wenn auch noch etwas übermotiviert, Adelle Waldmans Biss auf – sind die Muster und Wünsche beider Parteien doch so offensichtlich wie unausgesprochen.
Nathaniel P. ist ein zerrissener Mann, gefangen in antrainierter Empathie. Er bemüht sich sehr um ein faires Verhalten gegenüber Frauen, ist in der Interaktion vermeintlich ehrlich, geduldig, verständnisvoll, hört zu. Tatsächlich aber leidet er, wünscht sich nur zurück in seine unaufgeräumte Männerhöhle, würde lieber Pornos gucken, arbeiten, lesen, allein sein. Das er bei Frauen den Ruf eines Aufreißers und Herzensbrecher „genießt“, nimmt er kaum wahr. Er merkt nicht mal, dass seine Fassade sehr wohl durchschaut wird. In seinem Narzissmus ist er vor allem damit beschäftigt, sich zu vergleichen, ob es dabei um die Arbeit geht, um die Frauen (Quantität und Qualität) oder aber um die intellektuelle Bildung. Dabei misst er sich sowohl an seinen Freunden als auch an seinen Freundinnen – in dieser Hinsicht ist er tatsächlich emanzipiert.
Als er Hannah kennenlernt, betont er auch ihr gegenüber, dass eine Beziehung gerade kein Thema ist, und Hannah spielt mit. Ist cool, unabhängig und charmant. Signalisiert, dass sie ihn sicher nicht zu ihrem Glück braucht. Ohne es zu wollen, beginnt Nathaniel, an sie zu denken, ihre Nähe zu suchen und rutscht, trotz aller Abwehrmechanismen, die natürlich einsetzen, in so etwas wie eine Beziehung. Für einen Moment scheint es, als ob er endlich die Frau gefunden hat, die es zu finden galt. Intelligent, humorvoll, mit Stil – das Beste aus allen Vorgängerinnen. Die scheiterten natürlich an einem zu viel oder zu wenig der einen oder anderen Eigenschaft. Es kann dann auch niemanden erstaunen, als er auch bei Hannah beginnt, mangelnden Ehrgeiz und die „schlaffe“ Oberarmmuskulatur zu bemerken, und ihre Anrufe wegdrückt. Unerbittlich folgt nun das, was passiert, wenn die Erwartungen zweier Menschen an sich und den Anderen an der Wirklichkeit zerschellen. Plötzlich erkennt Hannah sich selbst nicht mehr und Nathaniel beginnt, den Duft anderer Frauen wahrzunehmen. Der Rest ist Geschichte.
Adelle Waldman seziert das Aufflammen und Sterben der Möglichkeit einer Beziehung, die alles sein will und am Ende an den Erwartungen und der sich nie deckenden Realität auf beiden Seiten scheitert. Normal, möchte man sagen. Kennen wir doch alle. Und genau darin liegt der Sog dieses Buches: Es ist wie die Blaupause der ersten Phase, mit all der Euphorie, der Befangenheit, den Enttäuschungen. Diese Blaupause ist wohl so zeitlos, wie die Liebe selbst. Und die Hoffnung. Doch darüber hinaus ist Nathaniel das Paradebeispiel eines Mannes seiner Generation. Von starken selbstbewussten Frauen großgezogen, haben diese Männer schnell gelernt, was Frauen wollen und was sich gehört. Doch jenseits dieser Erziehung schlummert ein einsamer Wolf in ihnen. Diesem Wolf würde es durchaus reichen, seinen Hunger zu stillen, sich hin und wieder zu paaren und ansonsten das zu tun, was ihm Spaß macht. Das gilt natürlich nicht für alle Männer in gleichem Maße – Waldman beleuchtet diesen Aspekt durch Nathaniels männliche Freunde, deren Lebensweise durchaus unterschiedlich ist. Darin lag für mich beim Lesen des Buches durchaus etwas tröstliches. Mal dachte ich, ach, es geht noch schlimmer, mal war ich erleichtert, zu lesen, dass man auch trotz eines unmodischen Haargummis geliebt werden kann.
Aber darüber hinaus wendet Waldman etwas an, dass ich einen Spiegel im Spiegel nennen würde. Eine Frau schreibt aus der Sicht eines Mannes und betrachtet mit seinen Augen die Frauen. Wie viel Wahrheit kann darin stecken? Wie viel Wunsch? Wie viel Zuspitzung? Wie viel „Erfahrung“? In den Diskussionen um das Buch schweigen die Männer eher. Aber warum? Viele Frauen vermuten, weil sie sich schämen, da sie sich wiedererkennen. Doch ist nicht genau das wieder eine weibliche Art, diese Dinge zu sehen? Und vielleicht schweigen die Männer auch, weil sie sich wiedererkennen, sich aber eben nicht schämen, dennoch wissen, dass die Frauen das von ihnen erwarten? Oder sie schweigen, weil sie sich nicht erkennen, aber ihnen klar ist, dass keine Frau ihnen das abkaufen würde – schließlich möchte ja niemand in einem solchen Licht gesehen werden und da ist doch Verleugnung ein Reflex….und ups! Willkommen in Nathaniels Welt!
Das Spiel kann man unendlich weiter spielen und meine Vermutung ist, dass genau das der eigentliche Kniff des Buches ist. Ein Kniff, der mich diebisch grinsen lässt. Denn mal ehrlich, das Spiel kann doch niemand gewinnen! Der „kleine“ Unterschied ist, bei aller Emanzipation, eine Tatsache.
Und genau das ist es, was ich am Ende aus „Das Liebesleben des Nathaniel P.“ von Adelle Waldman mitnehme: das die Akzeptanz des Unterschieds und der damit verbundenen Komplikationen, das Miteinander trotz aller Verständigungsschwierigkeiten, erleichtert. Lassen wir los, sind wir nur noch bei uns als Individuen und wollen gar nicht durch einen, wie auch immer gearteten, Überbau versuchen, die oder den Andere(n) auf einer anderen Ebene als der individuellen zu verstehen. Und in dem Moment hören wir auf zu spielen und beginnen aufrichtig zu lieben. Und zwar nicht die Idee einer Beziehung, sondern den Menschen.