von Sannah Wagner

 

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Als ein letzter Akt ihrer fast dreißig Jahre währenden Ehe fahren Art und Marion Fowler noch einmal zu den Niagara Fällen, dem Ort ihrer Flitterwochen. Doch jetzt stehen sie vor der Scheidung. Das Haus steht zum Verkauf und beide haben keinen Job mehr. Die Privatinsolvenz droht. Sie kratzen ihr letztes Geld zusammen – eigentlich kann man schon lange nicht mehr von ihrem Geld sprechen – um ein paar gemeinsame Tage vor der Scheidung miteinander zu verbringen und im Casino alles auf eine Karte zu setzen

Stewart O‘Nan schildert drei Tage eines Paares in den Fünfzigern, das vor den Scherben seiner Existenz steht. Dabei ist dieses Paar selbst, ebenso wie die Geschichte der fast dreißig gemeinsamen Jahre, von erschütternder Durchschnittlichkeit. Es gibt zwei Kinder, ein Haus, gemeinsame Reisen, Wünsche, gute und schlechte Entscheidungen, Fehltritte, Alltag. Man bekommt schnell das Gefühl, nicht nur die Geschichte von Art und Marion zu lesen sondern die des amerikanischen Mittelstands. Schnörkellos, schonungslos.

Der Weg, den die beiden wählen, um sich dem Lauf der Dinge zu stellen, ist jedoch alles andere als durchschnittlich. Statt sich in Verbitterung zu ergehen und die Schuld dem System, dem Partner oder den Umständen zu geben, erkennen sie, jeder für sich, die eigenen Fehler an und verschaffen sich eine letzte Chance, um das eigene Schicksal zu ändern. Sie reisen zu den Niagara Fällen, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Während Art hofft, durch die gemeinsamen Tage retten zu können, was noch zu retten ist, sind sie für Marion die Möglichkeit, versöhnlich abzuschließen, um danach allein weiter zu machen.

Durch die Perspektive des allwissenden Erzählers, der jedoch in szenischen Wechseln mal bei ihr, mal bei ihm, mal im Allgemeinen verweilt, entsteht ein Bild des Loslassens, doch ebenso ein Bild des – schon langjährigen –  Ringens um eine Beziehung zweier Menschen, die bei aller Unterschiedlichkeit auch immer gemeinsame Ziele verfolgten.

Stewart O’Nans Gabe ist es, seine Figuren – manchmal fast bis zur Unerträglichkeit – glaubwürdig darzustellen. Auch in „Die Chance“ zeigt er wieder sein ganzes Können. Marion und Art sind keine Helden. Sie sind Wir. Sie sind nur ein Spiegelbild von uns allen – frei von Poesie und mit all den Ambivalenzen, die Leben und Sein mit sich bringen – und sie ergreifen eine letzte Chance.

Der Autor
Stewart O’Nan wurde 1961 in Pittsburgh, USA geboren. Er wuchs in Boston auf, studierte Literaturwissenschaften an der Cornell University und unterrichtete an unterschiedlichen Universitäten. Heute lebt er mit seiner Familie in Avon, Connecticut.

Das Buch
„Die Chance“ von Stewart O’Nan, erschienen 2014 bei Rowohlt, gebunden, Preis 19,95 Euro, ISBN 9783498050429

Weitere Empfehlungen von Stewart O’Nan:
„Emily, allein“, „Engel Im Schnee“, „Sommer der Züge“, „Die Speed-Queen“